KZ Sobibor. Vernichtungslager Sobibor. Gedenkstätte.
Das Konzentrations- und Vernichtungslager Sobibor wurde von den Deutschen Anfang 1942 im besetzten Polen unweit des gleichnamigen Dorfes in der Landgemeinde Włodawa errichtet. Diese befindet sich in Südostpolen unweit der Grenze zur Ukraine. Das Dorf Sobibór hatte damals rund 500 Einwohner, heute sind es etwa 460 bis 490 nach Zählungen der letzten Jahre. Zuletzt wurde dort am 12. Oktober 2023 des Gefangenenaufstands gedacht. Zugegen waren unter anderem der Direktor des Yad-Vashem-Instituts Dani Dayan, der deutsche Botschafter für Polen Viktor Elbling, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der slowakische Minister für Europaangelegenheiten Miroslav Wlachovsky. Im Vernichtungslager Sobibor wurden wahrscheinlich 150.000 bis 250.000 Juden ermordet, von denen etwa 33.100 aus den Niederlanden und eine ähnlich große Zahl aus der geografisch relativ nahe gelegenen Slowakei stammten.
Entstehungsgeschichte
Das KZ Sobibor wurde von vornherein als Vernichtungslager errichtet. Den Hintergrund bildete unter anderem die „Aktion Reinhardt“. Sie hatte die planmäßige Ermordung aller Juden des sogenannten Generalgouvernements (besetztes Polen) und weiterer besetzter Gebiete zum Ziel, die ihren Namen vom SS-General und Reichsprotektor für Böhmen und Mähren Reinhard Heydrich erhielt, der im Mai 1942 nach einem Attentat slowakischer Widerstandskämpfer starb. Allerdings war das Lager schon im Herbst 1941 geplant worden, denn die „Endlösung“ der Judenfrage, mithin die Ermordung aller europäischen Juden, hatten die Nationalsozialisten schon im Sommer 1941 beschlossen und diesen Beschluss im Januar 1942 auf der Wannseekonferenz manifestiert und planerisch ausgearbeitet. Nur wurde die Errichtung von Vernichtungslagern in Polen nach dem Tod von Heydrich diesem gewidmet. Nach heutigem Forschungsstand begannen die Planungen für die Einrichtung im Herbst 1941. Ab Januar 1942 wurden nach dem Vorbild des Vernichtungslagers Belzec 12 Hektar umzäunt und eine Struktur mit zwei Lagerteilen angelegt. Später wurde das KZ auf 60 Hektar und auf die Lager I bis IV erweitert. Im Lager I waren die Kommandantenvilla, das Waffenarsenal, Versorgungseinrichtungen und Unterkünfte für 30 SS-Männer, bis zu 120 Trawniki und 50 jüdische Arbeitshäftlinge untergebracht. Die Trawniki waren „Volksdeutsche“ aus der sowjetischen Roten Armee, die sich als Kriegsgefangene den Deutschen anschlossen. Im Lager II wurden Häftlinge entkleidet, im Lager III in Gaskammern ermordet. Dort wurden auch Arbeitshäftlinge untergebracht, welche die Leichen beseitigen mussten. Im ab 1943 errichteten Lager IV wurde Beutemunition gelagert. Sie sollte aufbereitet werden, was die Lagerleitung nur bis zum Aufstand der Häftlinge von Sobibór im Herbst 1943 durchführen ließ.
Gaskammern und Ermordung der Opfer im Lager Sobibor
Im April 1942 ließ die Lagerleitung 250 jüdische Arbeitshäftlinge probeweise mit Motorgasen ermorden. Danach ließ sie die Kapazität der Gaskammern ausbauen, sodass die Zahl der Todesopfer durch Vergasung zwischen Mai und Juli 1942 schon rund 90.000 betrug. Die Vergasung plante die Lagerleitung „fabrikmäßig“, sie stieß dabei an technische Grenzen. Unter anderem war die Eisenbahnstrecke zum Lager nur eingleisig und wurde daher zwischen August und Oktober ausgebaut. Die Vergasungen ruhten in dieser Zeit, die Lagerleitung ließ währenddessen auch die drei Gaskammern um zusätzliche Räume erweitern, sodass im KZ zuletzt sechs Gaskammern in Betrieb waren, die jeweils zwischen 40 und 150 Opfer fassten. Anschließend erreichte die Tötungsmaschine durch Gas eine Kapazität von 1.200 Opfern pro Tag. Nach wie vor ließ die Lagerleitung Motorgase einleiten, das anderswo eingesetzte Zyklon B kam im Vernichtungslager Sobiboroffenbar nicht zum Einsatz. Der Tod durch Motorgase war besonders langwierig und qualvoll. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler besuchte die Einrichtung im Februar 1943. An jenem Tag traf kein Transportzug mit neuen Häftlingen ein. Daher ließ die Lagerleitung 100 jüdische Frauen aus Lublin herbeischaffen, die vor den Augen Himmlers vergast wurden, damit er sich persönlich von der Effizienz der Vernichtung überzeugen konnte. Himmler zählte zu den Hauptverantwortlichen des Holocaust, geriet 1945 in britische Kriegsgefangenschaft und beging Selbstmord.
Die Opfer von Sobibór
Die tatsächlichen Opferzahlen können zwischen 150.000 und 250.000 Personen liegen. Die Lagerleitung dokumentierte auf Anweisung Himmlers die Zahl der Vergasungen und sonstiger Todesfälle, doch diese schriftlichen Unterlagen wurden von der SS gegen Kriegsende vernichtet. Die Forschung zu den Opfern stützt sich daher auf verschiedene Quellen:
- Es existierten nach dem Krieg Zuglaufpläne der Reichsbahn und der polnischen Eisenbahn, welche die Opfer hierher transportiert hatten. Auch gab es Aussagen von polnischen Mitarbeitern der Eisenbahn. Diese erlaubten grobe Schätzungen der transportierten Häftlinge.
- Das sogenannte Höfle-Telegramm meldete regelmäßig die Opferzahlen aus Vernichtungslagern. Für Sobiborwurden Ende 1942 exakt 101.370 getötete Personen gemeldet. Danach liefen die Vergasungen wahrscheinlich mit einer konstanten Kapazität weiter.
- Der Holocaust-Forscher Dieter Pohl schätzte im Jahr 2011, dass hier 152.000 Juden vergast wurden.
- Jules Schelvis geht von 180.000 Opfern aus.
- Stephan Lehnstaedt, Sara Berger und Robert Kuwałek nennen mindestens 179.618 und maximal 238.900 Opfer.
- Einige Forscher nehmen eine Dunkelziffer an und/oder beziehen Todesfälle durch andere Ursachen mit ein. Daraus resultiert die mögliche Zahl von bis zu 250.000 Opfern.
Die Opfer waren anfangs überwiegend polnische Juden. Später ließ die SS auch Niederländer, Slowaken, Tschechen, Deutsche, Franzosen und sowjetische Staatsangehörige in Sobibór umbringen. Letztere stammten unter anderem aus Weißrussland und dem Baltikum.
Aufstand im Vernichtungslager Sobibor
Obwohl die SS und mit ihr kooperierende Behörden alle Informationen zu den Vernichtungslagern geheim hielten, drangen diese doch durch. Spätestens nach ihrer Ankunft wussten die Häftlinge, was sie erwartete. Aus den Krematorien stieg permanent Rauch mit einem typischen Geruch aus, auch ist davon auszugehen, dass Häftlinge des Leichenbeseitungskommandos Kontakte ins übrige Lager zu den Neuankömmlingen unterhielten. Daher kam es in verschiedenen Vernichtungslagern zu Aufständen, so auch im KZ Sobibor am 14. Oktober 1943. Sowjetische Kriegsgefangene mit jüdischen Wurzeln, die überwiegend aus Belarus stammten und kampferfahren waren, planten die Revolte. Ihr Anführer war Leutnant Alexander Petscherski, eine wichtige Rolle spielte auch der polnische Zivilgefangene Leon Feldhendler. Beide überlebten den Aufstand und konnten entkommen. Sie überlebten auch den Krieg. Die rund 600 Aufständischen bauten sich Hieb- und Stichwaffen, töteten zwölf SS-Männer und zwei Trawnikis, überwanden den Stacheldrahtzaun und das angrenzende Minenfeld und flohen in den Wald. Die SS und die Trawnikis schossen Dauerfeuer auf die Aufständischen. Die Aktion im Lager selbst überlebten 365 Gefangene, rund 200 erreichten den Wald, wo sie von der SS und den Trawnikis weiter verfolgt wurden. Dabei starben weitere entflohene Häftlinge. Die Überlebenden schafften wahlweise die Flucht in ihre Heimat, so Leutnant Alexander Petscherski, oder schlossen sich Partisanen an. Insgesamt erlebten 47 Aufständische das Kriegsende.
Nach dem Aufstand
Nach dem Aufstand konstatierte die Lagerleitung, dass das Lager nicht sicher genug war. Ohnehin hatte es seinen Zweck fast erfüllt, die Zahl der Transporte hatte in den letzten Wochen nachgelassen. Die SS ermordete daher alle noch verbliebenen Lagergefangenen und ließ das Lager einebnen sowie um einen unauffälligen Bauernhof einen Jungwald anlegen. Das Gelände des Vernichtungslagers Sobibor war danach auf den ersten Blick nicht mehr zu identifizieren. Allerdings halfen nach dem Krieg Überlebende bei der Lokalisierung des Ortes und der Aufarbeitung der Geschehnisse.
Konzentrationslager Sobibor: Täter und Aufarbeitung des Mordes an den europäischen Juden
Der seit April 1942 fungierende Kommandant Franz Stangl war Österreicher, hatte den Rang eines SS-Obersturmführers, geriet später in Kriegsgefangenschaft, konnte fliehen und nach Brasilien emigrieren. Er wurde dort aber vom Nazi-Jäger Simon Wiesenthal aufgespürt, 1967 verhaftet, an Deutschland ausgeliefert und 1970 zu lebenslanger Haft verurteilt. 1971 starb er in Haft. Seine Vorgesetzten erlebten vielfach das Kriegsende nicht. Der verantwortliche Inspekteur Christian Wirth wurde von Partisanen getötet, dessen vorgesetzter SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik beging 1945 Selbstmord. Die Forschung zu den Vernichtungslagern begann schon in den 1950er Jahren. Der polnische Staat ließ 1961 ein Mahnmal auf der Asche von Sobibór errichten.
Literatur
Jules Schelvis: Vernichtungslager Sobibór. Unrast Verlag, Hamburg/Münster 2003.
Barbara Distel: Sobibor. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 8: Riga, Warschau, Vaivara, Kaunas, Płaszów, Kulmhof/Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka. C.H. Beck, München 2008, S. 375–404.
Stephan Lehnstaedt: Der Kern des Holocaust. C.H.Beck Paperback, München 2017. (2. redigierte Auflage 2020.
Nikolaus Wachsmann: KL: Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Siedler Verlag, München 2016,
Kalmen Wewryk: Nach Sobibor und zurück. Bahoe Books, Wien 2020.
Website der Gedenkstätte.
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